Aufgrund mehrerer Verfassungsbeschwerden verhandelte gestern, am 20. Dezember 2022, der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des § 25a des Hessischen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (HSOG). Diese Vorschrift ermöglicht der Hessischen Polizei alle bei ihr gespeicherten Daten zur vorbeugenden Bekämpfung von schweren Straftaten zu analysieren. In Hessen kommt hierfür seit 2017 die Analyse-Software Gotham der US-Firma Palantir zum Einsatz. Das auf hessische Verhältnisse angepasste Analyse-Tool wird in Hessen hessenDATA genannt.
Mit seinem Einsatz sind auch viele datenschutzrechtliche Fragen verbunden. Daher war der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Prof. Dr. Alexander Roßnagel, vom Bundesverfassungsgericht als Sachverständiger zur mündlichen Verhandlung geladen und konnte dort seine datenschutzrechtliche Expertise einbringen. Problematisch sieht er die Reichweite des Analyse-Werkzeugs, das auch auf alle Daten von Funkzellenabfragen zugreift, durch die alle Personen, die sich mit einem Handy zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten räumlichen Bereich aufgehalten haben, erfasst werden, und das auch alle Daten des polizeilichen Dokumentationssystems auswertet, in dem alle Vorkommnisse, mit denen die Polizei zu tun hat, dokumentiert sind, von Ermittlungen zu Straftaten, über Zeugenaussagen, Verkehrsunfällen, Verlustanzeigen bis hin zu Nachbarstreitigkeiten und unbelegten Verdächtigungen. Dadurch bestehe das Risiko, dass viele Personen in polizeiliche Ermittlungen einbezogen werden, die dort nicht hingehören. Zugriff auf diese Analyse-Software haben in Hessen über 2.000 Kriminalbeamte, die mit ihr im letzten Jahr über 14.000 Ermittlungen durchgeführt haben.
Verfassungsrechtlich problematisch ist nach Roßnagels Auffassung unter anderem, dass die gefahrenabwehrrechtliche Vorschrift des § 25a HSOG zu unbestimmt ist. Roßnagel dazu: „Wenn der Anwendungsbereich so weit formuliert ist, ist es schwer in der Praxis Grenzen einzuziehen. Für die von der Polizei geschilderten Fälle sehr schwerer Kriminalität ist der Einsatz der Analyse-Software in Ordnung, aber sie darf nicht zum Standardmittel für die polizeiliche Arbeit werden.“
Ein weiteres Problem sieht Roßnagel im Zusammenhang mit dem Thema der Zweckbindung. Bei der Analyse der bei der Polizei gespeicherten Daten mit hessenDATA werden große Mengen an Daten von „Unbeteiligten“ einbezogen, die davon nichts erfahren und die keine Chance haben, ihre Lebensführung so einzurichten, dass sie nicht erfasst werden. Er führte hierzu aus: „Alle Daten bei der Polizei werden Bestandteile eines Datenpools zur Analyse für weitreichende künftige Ermittlungszwecke“ und sieht diese Einbeziehung eher kritisch. Darüber hinaus betonte er auch, wie wichtig es sei, die Begründung für die konkrete Anwendung der Datenanalyse mit hessenDATA in jedem Einzelfall nachprüfen zu können.
Überdies wurden zum Beispiel Fragen im Zusammenhang mit der Funktionsweise des Analyse-Tools, zum Einsatz und zur technischen Gestaltung des Tools erörtert. Mit großer Spannung wird das Urteil des Ersten Senats in ein paar Monaten erwartet.