„Digitalisierung um jeden Preis? Kein Zwang zur Preisgabe personenbezogener Daten“ – so lautete der Titel der Vortrags- und Diskussionsveranstaltung der Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder (DSK) zum 19. Europäischen Datenschutztag, die der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HBDI) Prof. Dr. Alexander Roßnagel als ihr scheidender Vorsitzender organisiert hatte. Am 28. Januar trafen etwa 150 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft in der Hessischen Landesvertretung in Berlin zusammen.
Gegenstand der Tagung waren bestimmte Folgen der Digitalisierung aller Lebensbereiche: Inwieweit kann der Zugang zu Bahnfahrten und Paketabholungen, zu Arztterminen, zu Schwimmbädern und Museen, zu öffentlichen Zuschüssen und Leistungen eines Bürgeramts von der Nutzung digitaler Kommunikationsmittel abhängig gemacht werden? Wie wirken sich solche digitalen Zugangshürden auf diejenigen aus, die kein Smartphone oder keinen Internetzugang besitzen oder die ihre personenbezogenen Daten nicht für diesen Zweck preisgeben wollen? Ist die durch ausschließliche digitale Zugangshürden entstehende Datenverarbeitung gerechtfertigt? Welche datenschutzrechtlichen Gestaltungsvorgaben müssen die Verantwortlichen beachten?
Eine Reihe von Beispielen für digitale Zugangshürden präsentierte der Journalist und Autor Prof. Dr. Heribert Prantl. Seine Untersuchung der dadurch entstehenden Folgen fasst er in der Feststellung zusammen: „Wer kein Smartphone hat, wird ausgeschlossen“. Die Strategie „digital only“ führe in die Verfassungswidrigkeit. Daher forderte er ein „Recht auf analogen Zugang zur Daseinsvorsorge“.
Die Bedeutung von digitaler Teilhabe aus der Sicht des Verbraucherschutzes beleuchtete Jutta Gurkmann vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Die willkürliche Erweiterung der Datenerhebung durch datengetriebene Geschäftsmodelle um digitale Zugangshürden dürfe Verbraucherinnen und Verbraucher nicht von Gütern und Leistungen ausschließen, die sie für ein lebenswertes Leben benötigen. Ansonsten verkehre sich das Teilhabeversprechen der Digitalisierung in sein Gegenteil. Wo digitale Exklusion existenzielle Bereiche des Zusammenlebens betreffe, wie etwa bei Mobilität, Gesundheit und Zahlungsverkehr, müssten auch alternative Zugänge angeboten werden, so Gurkmann.
Prof. Dr. Alexander Roßnagel stellte klar, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten durch digitale Zugangshürden datenschutzrechtlich unzulässig sei und gegen die Grundsätze von Datenschutz durch Technikgestaltung und durch datenschutzfreundliche Voreinstellungen verstoßen könne. Dem müssten und könnten Datenschutzaufsichtsbehörden entgegentreten.
Rena Tangens von Digitalcourage e.V. zeigte in ihrem Vortrag „Wahlfreiheit statt Digitalzwang“ an zahlreichen Beispielen auf, dass Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in vielen Bereichen nur noch digital möglich ist. Der Verein Digitalcourage habe sich in den letzten Jahren immer wieder intensiv mit derartigen Fällen beschäftigt. Sie argumentierte, dass dieser „Digitalzwang“ Freiheitsrechte beeinträchtige und forderte deshalb ein Grundrecht auf analoges Leben.
Eine differenzierte Sicht auf den Themenbereich nahm Prof. Dr. Steffen Augsberg, Jurist an der Universität Gießen, ein. In seinem Überblick über „datenschutzrelevante Interessenkonflikte und Interessenkonvergenzen in der Digitalisierung“ zeigte er, welche verfassungsrechtlich geschützten Interessen für eine Digitalisierung sprechen und wo andere ebenfalls verfassungsrechtlich geschützte Interessen einer ausschließlichen Digitalisierung Grenzen setzen. Er plädierte für Einzelfallbetrachtungen anstelle pauschaler Verweise etwa auf Grundrechte oder Menschenwürde.
Schließlich kam mit Nico Lüdemann vom Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft ein Interessenvertreter der Digitalwirtschaft zu Wort, der aus seiner Sicht den „Zwiespalt zwischen Innovation und Datenschutz“ erläuterte. Er sah zwar die Nachteile einer Digital-Only-Strategie, warb aber auch um Verständnis, dass Effizienzsteigerung und Aufgabenerleichterung durch Digitalisierung möglich sein müssten. In diesem Zusammenhang warb er zudem für mehr Medienbildung, die einen angemessenen Umgang mit der zunehmend digitalisierten Welt führe.
Die Diskussionen zu den Vorträgen hatten besonders die praktische Umsetzbarkeit von Datenschutz und dem Recht auf analoge Teilhabe zum Gegenstand. Zu berücksichtigen sei dabei aber das Spannungsfeld zwischen datenschutzrechtlichen Zielsetzungen und wirtschaftlichen Zwängen.
Zum Abschluss der Veranstaltung übertrug der scheidende DSK-Vorsitzende Roßnagel symbolisch den DSK-Vorsitz 2025 an die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Meike Kamp, indem er ihr die Glocke des DSK-Vorsitzes übergab.